Ritter - die militia christiana als Lebensform im Mittelalter

"Die Burg selbst ... ist nicht als angenehmer Aufenthalt, sondern als Festung gebaut. Überall stinkt es nach Schießpulver: und dann die Hunde und ihr Dreck, auch das ein lieblicher Duft. Reiter kommen und gehen, darunter Räuber, Diebe und Wegelagerer. Denn fast für alle stehen unsere Häuser offen, weil wir nicht wissen was das für Leute sind oder uns nicht groß danach erkundigen. Man hört das Blöken der Schafe, das Brüllen der Rinder, das Bellen der Hunde, das Rufen der auf dem Feld Arbeitenden, das Knarren und Rattern der Fuhrwerke und Karren, sogar das Heulen der Wölfe hört man in unserem Hause, weil es nahe am Wald liegt."

So beschreibt der Humanist Ulrich von Hutten den Alltag auf einer Ritterburg, den drangvolle Enge und allgegenwärtiger Gestank prägen. Das oft verklärte Rittertum ist die bekannteste Lebensform des Mittelalters und noch heute in aller Munde, wenn von "Dame", "Höflichkeit" oder "Kavalier" die Rede ist.
Wie entstand das Rittertum und wozu diente es?

Der Ursprung der ritterlichen Lebensform wurzelt im uralten Kriegertum waffentragender Männer. Im frühmittelalterlichen Frankenreich lag die Last der Kriegsführung bei allen wehrfähigen und freien Männern. Der Heerbann des Königs rief das Volksheer zum Kriegszug, zur Eroberung neuer Herrschaftsgebiete oder zur Abwehr äußerer Feinde. In der Auseinandersetzung mit dem Reitervolk der Awaren im Osten, den im Reiterkampf gewandten Sarazenen an der Süd- und Westgrenze und den durch ihre Schiffe extrem mobilen Normannen im Norden des fränkischen Herrschaftsgebletes gewann der berittene Krieger gegenüber dem Fußkämpfer immer größere Bedeutung. Der Unterhalt eines Kampfpferdes und der zugehörigen Ausstattung war so aufwendig, daß Karl der Große 807 eine Heeresreform anordnete: die Wehrpflicht wurde eingeschränkt auf jene Freie, die über mindestens drei, seit 808 mindestens vier Hufen Land verfügten. Die weniger Begüterten sollten sich zusammentun und einen der ihren mit der erforderlichen Ausstattung versehen. Als Folge davon verlagerte sich die Kriegsführung mehr und mehr auf die wohlhabenderen Freien. Um die Kriegstüchtigkeit der Gefolgsleute zu erhalten oder zu stärken, erhielten diese Lehen, also Landgüter zur Leihe", die ihren Inhaber einerseits versorgten andererseits über einen Treueid aber zu Rat und Hilfe des Lehnsgebers verpflichteten. Obwohl der allgemeine Heerbann zur Landesverteidigung weiter fortbestand, hob sich mit dieser Gruppe der Vasallen neben den Adligen eine besondere Kämpfergruppe, die militia, heraus. Sie stellte den wichtigsten Kampfverband des Mittelalters, die Panzerreiter (loricati), die ihre Schlagkraft erstmals in der Abwehr der Ungarn unter Beweis stellten.

Die zunächst nur einem Getreuen persönlich übergebenen Lehen wurden trotz Widerstands durch den Lehnsherrn erblich; der Sohn des Lehnsmannes trat in die Rechte des Vaters ein und erneuerte den Treueid gegenüber seinem Herren.
1037 erkannte König Konrad II: die Erblichkeit der Lehen allgemein an.

Das Prinzip Land gegen Dienst wurde das wichtigste Verfassungselement des mittelalterlichen Reiches:
Jeder miles, so der Ausdruck für Ritter in den Schriftquellen, war als Vasall sowohl Diener seines Lehnsherrn als auch selbst Herr über die Bewohner seines Lehns. Es entstand - wenn auch regional in Europa in unterschiedlicher Vollendung - eine Lehnspyramide, an deren Basis die Bauern und an deren Spitze der König stand.

Seit dem 10. Jahrhundert ersetzte der befestigte Ansitz, die Burg, den älteren Meierhof als Mittelpunkt einer Grundherrschaft. Die Abwehr der Ungarn erfolgte auch durch die Errichtung zahlreicher Fluchtburgen für die Bevölkerung. Das Jeste Haus" war die oftmals zum Symbol reduzierte, repräsentative Behausung kriegerischer Lebensweise. Im Unterschied zur frühen Fluchtburg ist sie zugleich dauerhafter Wohnsitz und als zentraler Wirtschaftshof ökonomisches Rückgrat der ritterlichen Herrschaft.

Die tatsächliche militärische Bedeutung der Burgen wird oft überschätzt, Fast alle wurden durch Belagerung erobert und die meisten Befestigungen dienten lediglich als Schutz vor einem Überraschungsangriff oder umherziehenden Strauchgesindel. Die eigentliche Kriegsentscheidung fiel stets im offenen Kampf: entweder als Feldschlacht oder im Aufeinanderprallen von Belagerungs- und Entsatzheer vor den Toren einer Burg.

im Hochmittelalter stieg eine Gruppe Unfreier innerhalb einzelner Grundherrschaften auf, die von den niederen Hofdiensten befreit war und nur zu höherer Verwaltungstätigkeit und zum Kriegsdienst herangezogen wurde, die Ministerialen. Diese bildeten eine neue Gruppe innerhalb der milltia und verwalteten Amtslehen ihres Herren, bald aber auch Lehen anderer Herren. Bis zum 11. Jahrhundert integrierten sich diese "adligen Unfreien" (Bosl) komplett in die Ritterschaft.

Rechtsfindung ist eng mit Gewalt verbunden; da der mittelalterlichen Gesellschaft die Vorstellung eines staatlichen Gewaltmonopols fremd war, erfolgte Rechtswahrung oder auch das Erlangen neuer Rechte häufig mit dem Schwert. Das zunehmend ausufernde Fehdewesen rief eine Gegentendenz in Form der von der Kirche propagierten Gottesfriedensbewegung hervor. Durch Schwureinungen wurde versucht, Landfrieden zumindest in der jeweiligen Region herzustellen. Tatsächlich von Erfolg gekrönt war dieser Ansatz nur innerhalb der werdenden Städte. Hier ersetzte die Gewalt des Stadtrates, die "gute Policey", das Faustrecht. In größeren Herrschaftsräumen war das Ringen um die Herstellung des Landfriedens ein langwieriger Prozeß, der erst mit dem Erstarken der neuzeitlichen Territorialstaaten als Obrigkeit ein Ende fand. So blieb das Fehdewesen ein weiterer charakteristischer Zug des Ritterdaseins.

Eine neue Dimension erhielt das Rittertum durch die heidnische Eroberung des Heiligen Landes:
1095 rief Papst Urban 11. zur Rückeroberung der heiligen Stätten für die Christenheit auf, es entstand die Kreuzzugsbewegung. Die christliche Überhöhung des Kampfes gegen Heiden als segenbringende und erstrebenswerte Tätigkeit führte zur Ausbildung eines neuen Ritterideals, der militia christiana. Das gemeinsame Ziel des Kreuzzuges entfaltete eine gewaltige Integrationskraft für die gesamte europäische Ritterschaft, die sich nun als abendländische Einheit begriff.

Die höchste Vollendung dieses Ideals stellten die im Heiligen Land gegründeten Ritterorden dar (Templer, Johanniter, Deutscher Orden u.a.); sie vereinten mönchisch-christliche Lebensweise mit dem Kriegsdienst. Im 12. Jahrhundert war somit die Ausbildung eines einheitlichen, christlichen Ritterstandes abgeschlossen, der über ein spezifisches Standesbewußtsein und ein Ideal der Lebensführung verfügte.

1231 verfügte Kaiser Friedrich 11. in den Konstituti0nen von Melfi die Abschließung des Ritterstandes. In Zukunft durfte nur derjenige in den Ritterstand aufgenommen werden, der von ritterlicher Geburt war. Dies hatte besonders Auswirkungen in der Abgrenzung nach oben. Der (hohe) Adel distanzierte sich bewußt vom Ritterstand, auch wenn er dessen Ethos anhing und es pflegte.

Innerhalb des Rittertums selbst ergab sich eine Differenzierung durch die Ausbildung weltlicher Ritterorden für gehobene Kreise, allen voran der englische Hosenbandorden und der burgundische Orden vom Goldenen Vlies. Diese sind als rein adlige Zusammenschlüsse zu verstehen. Ihnen gegenüber standen die Ritterbünde als meist lokale Vereinigungen niederadliger Kämpfer.

Vor diesem Hintergrund entfaltete sich vom 12. bis zum 14. Jahrhundert die eigentliche Blütezeit des Ritterstandes. Die Höfe der Könige und Fürsten wurden zu Brenn- und Sammelpunkten, weit über ihre sachliche Funktion als Herrensitz für die Lehnsmannen hinaus.

Zum ritterlichen Dasein, dem sich ja auch Fürsten und Könige zurechneten, gehörte untrennbar das höfische Leben. Hier wurden spezifische zeremonielle Umgangsformen, die Hochjagd und natürlich das Turnier gepflegt. Letzteres war die reglementierte Ausübung der Kriegskunst als Wettkampf und Gesellschaftsereignis. Daran teilnehmende Ritter stellten ihr Können unter Beweis, der Gastgeber seine Generosität. Auch die Damen hatten ihre feste Rolle im Turnierablauf. Sie ehrten den Sieger mit ihrer Gunst und empfingen ihrerseits Verehrung in der ebenfalls reglementierten Form des Minnedienstes.

Das höfische Leben eröffnet der militia christiana eine neue Dimension. Im Umfeld der Höfe anwesende Kleriker waren nicht nur Vermittler christlicher Ideale, sie bereicherten die ritterliche Vorstellungswelt auch durch ihr Wissen über antike und alttestamentliche Vorbilder wie Caesar oder Judas Makkabäus. Darüber hinaus schlugen sie die Brücke zur Schriftlichkeit. Die bis dato vornehmlich mündlich tradierten Heldensagen und -lieder wurden an den Höfen aufgezeichnet. Von den französischen Höfen ausgehend verbreitete sich eine höfisch-ritterliche Literatur, die sich auf ganz Europa ausbreitete. Damit entstand aus dem Rittertum die erste christliche Laienkultur des Mittelalters überhaupt.

Das ideale Ritterbild zeigt einen berittenen Kämpen mit Schwert, Lanze, Rüstung und Schild. Die Rüstung besteht im frühen und hohen Mittelalter vornehmlich aus einem Kettenhemd, das im Zuge der sich entwickelnden Kampftechnik dem immer solideren und schwereren Plattenpanzer wich. Ähnliches gilt für den Helm. Der frühmittelalterliche Spangenhelm nach byzantinischem Vorbild wurde im 11. Jahrhundert durch die normannische Ausprägung mit Nasenschutz ersetzt. Ab dem 12. Jahrhundert war der gesamte Kopf durch den Topfhelm mit Visier bedeckt, der den Ritter komplett unkenntlich machte. Um trotz dieser fortschreitenden"Vermummung" als Individuum oder Angehöriger einer Familie erkennbar zu sein, griffen die Ritter in einer weitgehend schriftlosen Kultur auf Symbolzeichen zurück. Sie zierten sich mit einem Wappen. Der Ausdruck hat denselben Wortstamm wie "Waffe" (heute noch in Gebrauch in der Redewendung "sich wappnen") und konserviert so jenen Ort, wo der Ritter sein Symbol "im Schilde führte". Letzterer entwickelte sich vom Rundschild germanischer Herkunft über den hochmittelalterlichen Langschild bis zu jenem dreiekkigen Typ, der noch heute als heraldisches Zeichen geläufig ist. Zur weiteren Ausstattung eines Ritters"auf Fahrt" gehörte sein Pferd - oder strenggenommen derer zwei, ein geschultes Schlachtroß und ein Packpferd, der "Klepper".

Dem Ritter war es unmöglich, seine Kampfmontur ohne fremde Hilfe an- oder abzulegen. Er war dringend auf die Hilfe des Knappes (Knabe), also eines"Ritters in Ausbildung" angewiesen. Ein solcher Knappe stammte in der Regel aus ebenbürtigem Hause oder war ein Knecht aus der eigenen Herrschaft, der seinerseits beritten war - und sei es auf einem Maultier.

Dieser Idealritter bedurfte für Unterhalt und Lebensführung eine angemessene wirtschaftliche Grundlage. Diese war durch stete Erbteilung der Familienlehen unter den Söhnen oder durch die Ausgabe der Mitgift an die Töchter chronisch gefährdet. Wer über keinen hinreichend mächtigen oder liquiden Lehnsherrn verfügte, der für ritterliche Dienste Bedarf und Belohnung bieten konnte, war somit vom Abstieg bedroht. Viele der kleineren Ritter näherten sich deshalb trotz hoher Ideale in der alltäglichen Lebensführung eher dem bäuerlichen Umfeld an. Mit dem Verfall der Königsmacht sanken insbesondere die Reichsritter immer mehr in die Bedeutungslosigkeit. Nicht wenige suchten ihr Heil deshalb in nur dürftig als Fehde getarnten Raubzügen gegen wohlhabendere Nachbarn, insbesondere gegen die aufblühenden Städte mit ihren reichen Kaufleuten.

Die Blütezeit des Rittertums endete im "Herbst des Mittelalters", etwa gleichzeitig mit dem Abschied vom Kreuzzugsgedanken. Im Verlauf des Hundertjährigen Krieges um Frankreich erlebte die Kriegstechnik einen starken Entwicklungsschub. Der Kampfwert schwergepanzerter und unbeweglicher Krieger erwies sich immer mehr nur noch in turnierhaft reglementierten "ritterlichen" Gefechten unter ihresgleichen. Hochbewegliche Verbände wie die böhmischen Hussiten oder landeskundige Partisanen wie die Schweizer Eidgenossen waren den Ritterheeren bereits überlegen. Das eigentliche Ende der Ritter als Kampfeinheit brachte schließlich die wachsende Durchschlagskraft der Feuerwaffen. Rasch in der Handhabung der Waffen angelernte Söldner aus den Unterschichten ersetzten die Ritterschar. An die Stelle von Lanzen- und Schwertgefechten traten die Schlachtfelder des Dreißigjährigen Krieges, die ein Vielfaches an Blutzoll fordern, wie alle mittelalterlichen Fehden zusammengenommen.

Es sind aber auch nicht die blutigen Schlachten, die klirrenden Rüstungen oder die trutzigen Burgen, die den bleibenden Ruhm der ritterlichen Lebensform begründeten. Eine ungleich größere Strahlkraft entfaltete ihr Ethos der "Ritterlichkeit" die höfische, die "höfliche" Lebensform zwischen "Kavalier" und "Dame" und nicht zuletzt ihr Beitrag zur Weltliteratur: Mit Werken von derArtussage bis zum Parsifal, die noch heute jedem ein Begriff sind - und sei es als Kinofilm oder Operninszenierung, bewahrt sich jede Generation ein positives Bild des Ritters.

Karl Bosl, Europa im Aufbruch, München 1980; Joseph Flekkenstein, Rittertum und -stand, in: Lexikon des Mittelalters 7, München 1995, Sp. 865-872; Joseph Fleckenstein, Ritterstand, in: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte 4, Berlin 1990, Sp. 1088-1092; Johan Huizinga, Herbst des Mittelalters, Stuttgart 111975; Eva-Maria Muth, Ritterleben.. Als Männer noch Ritter waren, Freiburg 1993; Ferdinand Seibt, Glanz und Elend des Mittelalters, Berlin 1987, S.301-332.

Rainer Atzbach